Fachbereich Rechtswissenschaften

European Legal Studies Institute (ELSI)


Osnabrück University navigation and search


Main content

Top content

Radbruchsche Formel

Gustav Radbruch (1878-1949) war Hochschullehrer und sozialdemokratischer Justizminister in der Weimarer Republik. 1946 formulierte er in seinem Buch Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht erstmals die These der Radbruchschen Formel.

 

Entstehungsgeschichte

Radbruch vertrat ursprünglich die streng positivistische Position der Rechtswissenschaft, welche sich für eine strikte Trennung von Recht und Moral ausspricht. Nach dem Rechtspositivismus sei unter Recht nur das positive Recht zu verstehen, d. h. ausschließlich Gesetze seien Recht. Auch gebe es kein Naturrecht, das als Geltungsmaßstab für gegebenes Recht dienen könnte.

Nach dem zweiten Weltkrieg und unter dem Einfluss des NS-Regimes modifizierte Radbruch seine Position, weil er erkannte, dass auch das (Un-)Recht der Nazis nach seiner Auffassung des positiven Rechts gerechtfertigt wäre. Deshalb lautet die an die Rechtsprechung adressierte Radbruchsche Formel:

“Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat.”

 

Erläuterung der Formel

Diese Formel leuchtet den Grenzbereich des positiven Rechts aus. Sie besagt, dass ein Richter, der sich in einem Konflikt zwischen den niedergeschriebenen, „gesetzten“ positiven Gesetzen und einem Gerechtigkeitsgedanken befindet, sich grundsätzlich an das gesetzte Recht halten solle.

Gerechtigkeit ist nach dieser Ansicht durch Menschengleichheit und Menschenwürde zu beschreiben. Wo diese Gleichheit nicht erzielt werden kann, könne auch nicht mehr von Gerechtigkeit und Recht gesprochen werden.

Radbruch zeigt jedoch auch Grenzen auf, denn, wenn das niedergeschriebene positive Recht als „unerträglich ungerecht“ erscheine, wenn eine bewusste Verleugnung der Gleichheit aller Menschen subjektiv offensichtlich wäre, nur dann solle sich ein Richter für die materielle Gerechtigkeit entscheiden.

 

Struktur der Radbruchschen Formel:

Es wird zwischen drei verschiedenen Kategorien von ungerechten Gesetzen unterschieden. Hierzu stehen sich drei Aussagen über die Geltung der Gesetze gegenüber.

  1. Positive Gesetze müssen auch dann angewandt werden, wenn sie ungerecht und unzweckmäßig sind.
  2. „Unerträglich“ ungerechte Gesetze müssen der Gerechtigkeit weichen.
  3. Falls Gesetze nicht das Ziel verfolgen, gerecht zu sein, so sind sie kein Recht.

 

Radbruch betont jedoch auch, dass Gerechtigkeit und Rechtssicherheit grundsätzlich gleichrangig seien, obwohl sich darin widersprechende Grundsätze zeigen.

 

Beispiele der Rechtsprechung:

Die Radbruchsche Formel wird u.a. auch durch das BVerfG in der Rechtsprechung angewandt. Sie dient beispielsweise dazu, das während des Nationalsozialismus oder in der DDR begangene Unrecht verurteilen zu können.

  • BVerfG, Urteil vom 3.11.1992 - 5 StR 370/92, BGHSt 39, 1 (Strafbarkeit des Schusswaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze)
  • BVerfG, Urteil vom 12.07.1951 - III ZR 168/50, BGHZ 3, 94 (Erschießung eines Deserteurs durch Angehörige des Volkssturms in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs)

 

Verfasser:innen: Tom Bender, Laura Jade Graf, Leonie Schulz, Maxine Sundhaus

 

Zurück zur Hauptseite

Zurück zur Zusammenfassung der 12. Vorlesung