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Studypedia
Inhaltsverzeichnis:
Zusammenfassung der 1. Vorlesung Das große römische Rechtsbuch Corpus Iuris Civilis und Europa
Zusammenfassung der 6. Vorlesung: Ewiger Landfriede und Reichskammergericht 1495
Zusammenfassung der 7. Vorlesung: Naturrecht und Aufklärung
Zusammenfassung der 8. Vorlesung: Naturrechtskodifikationen
Zusammenfassung der 9. Vorlesung: Historische Schule
Zusammenfassung der 10. Vorlesung: Die Entstehung des BGB
Zusammenfassung der 11. Vorlesung: Die Entwicklung des Common Law in England
Zusammenfassung der 12. Vorlesung: Perversion des Rechts im Nationalsozialismus
Zusammenfassung der 13. Vorlesung: Entstehung der EU
Begleitskript zur Vorlesung Europäische Rechtsgeschichte I
von
Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke
Projekt „Studypedia“ gefördert im Rahmen des Förderprogramms „Innovative Lehr- und Lernkonzepte: Innovation plus" des Landes Niedersachsen
Mitglieder der Arbeitsgruppe:
Patricia Kainka, Ana Chiara Resing, Dipl.-Jur. Ida Rüffer, Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke, Merle Schürmann, Nicola Smith und Teilnehmer*innen der Vorlesung
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Zusammenfassung der 1. Vorlesung:
Das große römische Rechtsbuch Corpus Iuris Civilis und Europa - Schlaglichter aus der Geschichte des wichtigsten Rechtsbuchs der Rechtsgeschichte
Der Göttinger Erstsemester-Jurastudent Hans Hertel kauft sich im Jahr 1890 folgendes dreibändiges Werk, um damit sein Jurastudium zu beginnen:
Corpus Iuris Civilis
Berolini, Apud Weidmannos, 1886-1888
- Band 1 : Institutiones, Digesta. Recognavit Krueger et Mommsen. editio stereotypa quarta.
- Band 2 : Codex Iustinianus. Recognavit Krueger. editio stereotypa quarta.
- Band 3: Novellae. Recognavit. R. Schoell et W. Kroll. editio stereotypa secunda.
Das Werk mit dem Titel Corpus Iuris Civilis (= Gesamtbestand des Bürgerlichen Rechts) ist größtenteils auf Latein, teilweise auch auf Griechisch verfasst, jedoch nicht auf Deutsch. In der ersten Vorlesung mussten die Studenten den Band 1 aufschlagen und als erstes einen Text lesen, der vom Beginn des Rechtstudiums handelt. Es ist der Beginn eines in diesem Werk enthaltenden Anfängerlehrbuchs, der sogenannten Institutionen. Diese Institutionen sind, wie deren Einleitung erkennen lässt, von dem oströmischen Kaiser Justinian, der im 6. Jahrhundert n. Chr. lebte, unter Mitwirkung seines Kanzlers Tribonian erlassen worden. Der Text der Institutionen, der im 6. Jahrhundert in das Corpus Iuris Civilis eingefügt wurde, stammt aber nicht von Justinian und Tribonian, sondern wurde von diesen aus einem viel älteren Anfängerlehrbuch übernommen, das ebenfalls „Institutionen“ als Titel trug, aber von dem Juristen Gaius im 2. Jahrhundert (ca. 160 n. Chr.) verfasst worden war.
Dort findet sich u.a. die Information, dass sich das Recht aus dem Öffentlichen Recht und dem Privatrecht zusammensetzt und dass das Zivilrecht (richtiger übersetzt: das Bürgerliche Recht) einer der Teile des Privatrechts ist. Das Buch enthält also teilweise Informationen, die auch für die heutige Rechtsordnung noch relevant sind. Einer der Gründe dafür ist, dass die Verfasser des heute noch geltenden deutschen Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), das am 1.1.1900 in Kraft getreten ist, das Corpus Iuris Civilis gut kannten und daraus Textteile und Gedanken entnommen haben. Dies war genauso bei anderen Gesetzbüchern wie z.B. dem französischen bürgerlichen Gesetzbuch, dem Code civil von 1804.
Dies kann man schon an der Gliederung des BGB und des Code civil sehen. Der Code civil ist wie folgt gegliedet: Buch 1: Von den Personen; Buch 2: Von den Sachen; Buch 3: Von den verschiedenen Arten das Eigentums zu erwerben. Dieses Gliederungsprinzip stammt aus den Institutionen, sowohl des Gaius als auch im Corpus Iuris Civilis, die nach dem Schema (1) Personae, (2) Res, (3) Actiones gegliedert sind. Deshalb nennt man diese Art der Gliederung eines Gesetzbuchs Gaianisches System oder Institutionensystem. Das BGB ist in fünf Bücher eingeteilt. Im erste Buch des BGB, dem Allgemeinen Teil, kann man jedoch das Gaianische System noch gut erkennen. Die ersten drei Abschnitte des Allgemeinen Teils haben die Gliederung: (1) Personen, (2) Sachen und Tiere, (3) Rechtsgeschäfte.
Das Corpus Iuris Civils wurde in den Jahren 528-534 von Kaiser Justinian als Gesetz erlassen, das war ganz zu Beginn seiner Regierungszeit (527-565). Es bestand aus drei Teilen, die folgende Namen haben: „Institutionen“ (= Einrichtungen), „Digesten“ (= Geordnetes; oft auch Pandekten genannt [= Allumfassendes]) und „Codex“ (= Buch). Später wurde noch ein vierter Teil hinzugefügt, der „Novellen“ (= Neues [gemeint: Gesetze]) genannt wird.
Die ersten drei Teile des Corpus Iuris Civilis bestehen größtenteils aus Auszügen und Fragmenten von damals schon mehrere Hundert Jahre alten älteren Werken, von denen die meisten aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammen. Die Bearbeiter des Corpus Iuris Civilis holten diese Werke aus den Bibliotheken, zerschnitten sie (vermutlich) wählten einige Teile aus und klebten diese neu wieder zusammen. Von diesen neu zusammengefügten Büchern wurden dann viele Abschriften hergestellt.
Zweck war die Wiedergewinnung von Herrschafts- und Organisationswissen aus der Zeit der größten Machentfaltung des römischen Reiches, also des 2 und 3. Jahrhunderts n.Chr. Denn Justinian wollte diese Macht wiederherstellen und insbesondere den westlichen Teil des römischen Reiches mit Italien und der Stadt Rom wiedererobern, wo seit einigen Jahrzehnten die Ostgoten herrschten.
Genau dieses Werk, eine Ausgabe des Corpus Iuris Civilis, kaufte sich der Göttinger Student Hans Hertel also im Jahre 1890, um damit Jura zu studieren. Damit stand er am Ende einer sehr langen Periode, in der das Corpus Iuris Civilis fast überall in Europa das Hauptwerk bildete, mit dem Juristen an den Universitäten ausgebildet wurden und das als für eine juristische Tätigkeit als Richter, Anwalt oder Verwaltungsjurist unverzichtbar war. Diese Periode dauerte von ungefähr 1200 bis 1800, in Deutschland sogar bis 1900. Es war eine Zeit, in der das Recht ganz überwiegend ein gemeinsames europäisches Recht (ius commune) war und die wichtigste Gemeinsamkeit in fast ganz Europa war, dass alle Juristen dieses Werk, das Corpus Iuris Civilis, verwenden mussten, um nachzuschlagen, welchen Inhalt das Recht hat.
Der wichtigste Teil dieses Werkes, die Digsten, ist ganz überwiegend nur aufgrund einer einzigen Handschrift bekannt, die sog. Littera florentina (von „littera“ = Buchstabe; hier Handschrift), die, wie der Name verrät, in Florenz aufbewahrt wird. Diese Handschrift ist sehr wahrscheinlich ein Original aus der Entstehungszeit des Corpus Iuris Civilis, also aus dem 6. Jahrhundert. Ohne diese Handschrift, die unter sagenumwobenen Umständen überliefert worden ist, wäre der inhaltlich gehaltvollste Teil des römischen Rechts wahrscheinlich verloren gewesen und das Recht fast aller europäischen Staaten wäre anders.
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit hatten die Juristen meistens eine sogenannte Glosse; das ist eine Ausgabe des Corpus Iuris Civilis mit Erläuterungen, sog. Glossen. Das Schriftbild bzw. Druckbild war so, dass in der Mitte der Originaltext des Corpus Iuris Civilis in etwas größeren Buchstaben stand, während rundherum in kleineren Buchstaben Erläuterungen (Glossen) waren. Die Glossen stammten von Autoren des 11. bis 13. Jahrhunderts, den sogenannten Glossatoren. Auch in der Glosse finden sich Rechtssätze, die in das BGB gelangt sind.
Diese Vorlesung zeichnet den Weg nach, wie dieses für die europäische Rechtsgeschichte zentrale Buch, das Corpus Iuris Civilis, entstand, wie es zum wichtigsten Rechtstext für fast alle europäischen Juristen wurde, wie es erläutert und angewendet wurde und auf dieser Grundlage ein gemeinsames europäisches Recht entstand, das sogenannte ius commune (= gemeinsames Recht), wie sich dann schließlich die nationalen Rechtsordnungen entwickelten und wie sich durch die EU wieder ein neues europäisches Recht bildet.
Zusammenfassung der 2. Vorlesung:
Römisches Recht in der Antike und seine Geschichte bis zur "Rezeption"
Erster Teil: Ämter und Schriften zum Recht im antiken Rom
Die Gründe dafür, dass im antiken Rom Rechtstexte entstanden sind, die – vermittelt durch das Corpus Iuris Civilis – die europäische Rechtsgeschichte bis ca. 1800 dominierten und bis heute Wirkungen entfalten, liegen vor allem in der Verfassung der römischen Republik. Nach der Vertreibung der etruskischen Könige (510 v.Chr.) verstanden die Römer ihre Stadt als res publica (= öffentliche Angelegenheit), an deren Regierung und Verwaltung sowie an der Rechtsprechung sich viele Bürger beteiligen mussten. Für die Rechtsentwicklung bedeutsam wurde zunächst das Zwölftafelgesetz von ca. 450 v. Chr. Auf zwölf Tafeln wurden auf dem zentralen Platz (Forum) die wichtigsten Rechtssätze öffentlich für jeden einsehbar aufgestellt. Sie betrafen unter anderem Prozessrecht, Schuldrecht, Sachenrecht, Familien- und Erbrecht sowie Strafrecht. Besonders wichtig war die seit dem 4. Jahrhundert vor Chr. geregelte Ämterlaufbahn. An der Spitze der Stadt standen zwei Konsuln, im Rang darunter ursprünglich nur ein Prätor, vier Ädile und zwei Quästoren, die alle jährlich neu gewählt wurden. Um für ein Amt wählbar zu sein, musste man das rangniedrigere Amt ausgeübt haben, also erst Quästor werden, dann Ädil, dann Prätor und war erst danach zum Konsul wählbar. Besonders wichtig für die Rechtsentwicklung waren der Prätor, der an der Spitze der Rechtsprechung stand, sowie zwei der Ädile, die sogenannten kurulischen Ädile, die Marktrichter waren. Diese Amtsträger nennt man deshalb auch Rechtsmagistrate. Weil diese Ämter Rechtskenntnisse erforderten, mussten sich alle Männer, die gewählt werden und in der Ämterlaufbahn aufsteigen wollten, einen Namen dafür machen, dass sie sich im Recht auskannten. Dazu war es nützlich, den Inhalt des Zwölftafelgesetzes gut zu kennen und sich durch praktische Tätigkeiten wie Rechtsrat, Gerichtsreden oder als Berater der aktuellen Amtsinhaber in deren Beraterkreis (consilium) bekannt zu machen. Als um 300 v. Chr. auch die von den Priestern bisher geheim gehaltenen Sprüche und Klagformeln veröffentlicht wurden, entstand eine weitere Textmasse, mit der sich die Bewerber vertraut machen mussten.
Besondere Bedeutung hatte die Einführung des Fremdenprätors (242 v. Chr.), der für Rechtstreitigkeiten von Fremden untereinander und mit römischen Bürgern zuständig war. Dieser Fremdenprätor erließ jeweils zu Beginn seiner Amtszeit einv Edikt, in dem er angab, welche Arten von Klagen er annehmen und dafür einen Richter einsetzen würde. Alsbald darauf erließ auch der andere Prätor, der nun Stadtprätor genannt wurde, jeweils zu Beginn seiner Amtszeit ein ähnliches Edikt. Diese prätorischen Edikte wurden im Laufe der Jahre immer umfangreicher. Auch die Kenntnis des Edikts wurde damit eine der Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ämterlaufbahn. Unter Kaiser Julian um ca. 130 n.Chr. wurde diese Entwicklung abgeschlossen und ein ewiges Edikt (edictum perpetuum) über die vor dem Prätor möglichen Prozesse erlassen. Der sog. Formularprozess vor dem Prätor war zweistufig. Die Klage musste beim Prätor erhoben werden. Wenn der Prätor die Klage für zulässig hielt, setzte er den Streit fest (litis contestatio=Streitbefestigung) und setzte einen Richter (iudex) ein, der insbesondere Beweise erhob und die Sache entschied.
Mit dem Entstehen des Kaisertums nach dem Ende der Republik bildete sich eine neue Schicht von Juristen, die sogenannten Respondierjuristen. Sie hatten die Befugnis auf Anfragen an den auch Prinzeps genannten Kaiser an dessen Stelle mit dessen Autorität zu antworten (ius respondendi ex auctoritate principis). Diese Antworten wurden gesammelt und zur Bearbeitung von Rechtsfällen herangezogen (Responsensammlungen). Der Kaiser oder die kaiserliche Kanzlei antworteten auch selbst auf Anfragen zu einem bestimmten Sachverhalt. Die Antwort oder Entscheidung der Kanzlei (Reskript) war rechtlich bindend. Die Reskripte wurden als Kaisergesetze gesammelt. Viele sind im Codex als Bestandteil der justinianischen Gesetzgebung erhalten geblieben.
Es entstanden auch Lehrbücher, von denen das Einführungslehrbuch des Gaius (ca. 160 n. Chr.), die Institutionen, vollständig überliefert sind. Das 2. und das frühe 3. Jahrhundert nennt man die klassische Zeit des römischen Rechts. Es entstanden zahlreiche Schriften zum Recht, u.a. Kommentare zum Zwölftafelgesetz und zum Edikt. Wichtige Autoren waren z.B. Ulpian, Papinian und Paulus. Aus diesen Schriften schufen im 6. Jahrhundert Justinian und Tribonian die ersten beiden Teile des Corpus Iuris Civilis, also die Institutionen und die Digesten.
Zweiter Teil: Wiederentdeckung des römischen Rechts im mittelalterlichen Italien
Während der kurzen oströmischen Herrschaft in Italien im 6. Jahrhundert hatte das dort in Kraft gesetzte Corpus Iuris Civilis kaum dauerhafte Wirkungen. Sein überragender Einfluss begann erst im Mittelalter, als in Oberitalien durch Fernhandel sehr reiche und mächtige Städte entstanden. In diesen Städten entstanden sog. Artistenschulen, an denen die sog. sieben freien Künste (Artes) gelehrt wurden. Auf der ersten Stufe mussten die Schüler das sog. Trivium (=Dreiweg) absolvieren, in dem die drei Fächer Grammatik, Rhetorik und Dialektik unterrichtet wurden. Im Kern ging es dabei um Kenntnisse des Lateinischen und die Fähigkeit, in dieser Sprache zu reden, schreiben und zu argumentieren. Nach dem Trivium kam das Quadrivium (=Vierweg), in dem die vier Fächer Geometrie, Arithmetik, Astronomie und Harmonie gelehrt wurden, also Fähigkeiten, welche die Kaufleute im beruflichen und gesellschaftlichen Leben benötigten. In Bologna begannen im späten 11. oder frühen 12. Jahrhundert einige Lehrer des Triviums, anhand von Ausschnitten aus dem Corpus Iuris Civilis, insbesondere den Digesten, zu unterrichten. Einer der ersten war der um 1140 gestorbene Irnerius. Der Grund war wohl zunächst die ungewöhnlich gute Qualität des lateinischen Texts und wohl auch, dass die dort behandelten Rechtsfragen gut zu den sich den Kaufleuten stellenden Rechtsfragen passten. Die Vorteile dieses Unterrichts wurden sehr schnell in ganz Europa bekannt, so dass aus vielen Ländern Schüler nach Bologna kamen. Die Lehrer und Schüler dieser Rechtsschulen nannten ihre Gemeinschaft übergreifend Universität (universitas magistrorum et scholarium = Gesamtheit der Lehrer und Schüler). Die neue Art zu unterrichten wurde auch dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa bekannt, der diesen Unterricht sehr förderte, weil darin auf das antike Kaisertum zurückgehende Texte behandelt wurden und Barbarossa sein Kaisertum als Nachfolge der antiken römischen Kaiser ansah. Außerdem waren diese Text und die daran ausgebildeten Absolventen nützlich, um kaiserliche Rechtsansprüche und Gesetze zu formulieren. Barbarossa zog die Lehrer der Universität, insbesondere die Quatuor doctores (= vier Doktoren) Bulgarus, Martinus, Jacobus und Hugo auf dem Reichstag auf den Roncalischen Feldern (1158) heran, um dort Kaisergesetze für Oberitalien in Anlehnung an das justinianische Staats- und Steuerrecht zu erlassen. Besonders wichtig für die weitere Geschichte der Universität wurde das sog. Scholarenprivileg, welches Barbarossa 1155/1158 den Lehrenden und Studierenden der Universität Bologna erteilte. Er gewährte ihnen die gleiche Immunität und Freiheit wie den Klerikern, wenn sie eine bestimmte Kleidung trugen (schwarzer Umhang), insbesondere Reisefreiheit, Steuerfreiheit und das Privileg, nicht den normalen Gerichten unterworfen zu sein, sondern nur dem Gericht der Universität.
Die Professoren an der Universität Bologna verfassten erläuternde Randbemerkungen zum Corpus Iuris Civilis, sog. Glossen. Deshalb nennt man sie auch Glossatoren. In der Mitte des 13. Jahrhunderts schuf Accursius eine umfangreiche Sammlung solcher Glossen, die als sog. Glossa ordinaria oder Accursische Glosse europaweite Verbreitung fand. Später entstanden in Bologna und an anderen inzwischen gegründeten Universitäten auch andere Arten von juristischen Werken, u.a. sog. Kommentare. Deren Autoren nennt man Postglossatoren oder Kommentatoren. Wichtige Kommentatoren des 14 Jahrhunderts, deren Werke in ganz Europa bekannt waren, sind Bartholus und Baldus.
Am Ende des Mittealters versuchte man zu begründen, warum das römische Recht des Corpus Iuris Civilis in ganz Europa galt, auch in Teilen, die niemals zum römischen Reich gehört hatten wie z.B. Norddeutschland. Diesen Vorgang der Ausbreitung des römischen Rechts in Europa im Mittelalter nennt man auch „Rezeption“. Einer der Erklärungsversuche war die sog. Lotharingische Legende. Nach dieser Legende sollte König Lothar III. das Corpus Iuris Civilis angeblich 1135 als Gesetz für das Heilige Römische Reich in Kraft gesetzt haben. Als 1495 für das Heilige Römische Reich ein Reichskammergericht geschaffen wurde, ging die Reichskammergerichtsordnung davon aus, dass das Gericht das gemeine Recht (ius commune) anwendet, welches in großen Teilen auf dem Corpus Iuris Civilis beruhte.
Zusammenfassung der 3. Vorlesung:
Germanische Rechtsaufzeichnungen im Gebiet des untergegangenen weströmischen Reiches
In der Zeit vom 5. bis zum 9. Jahrhundert entstanden im Gebiet des untergegangenen weströmischen Reiches sog. Volksrechte oder auch Barbarenrechte (leges barbarorum). Diese teilweise etwas rätselhaften Texte sind in lateinischer Sprache verfasst und regeln Rechtsfragen. Die Volksrechte sind entstanden im Zuge der Gründung oder des Ausbaus von germanischen Reichen, die auf dem ehemals römischen Gebiet entstanden. Diese sogenannten Germanenreiche waren u.a. folgende
o Reich der Westgoten (Südfrankreich, später Spanien)
o Reich der Burgunder (Burgund)
o Reich der Ostgoten (Italien)
o Reich der Langobarden (Norditalien)
o Reich der Franken (Rheinland, Nordfrankreich, später auch u.a. Südfrankreich, Burgund)
Die wichtigsten Daten zu diesen Reichen und die aus ihnen hervorgegangenen Volksrechte ergeben sich aus folgender Tabelle
419-711 | Reich der Westgoten |
419 | Die Westgoten siedeln in Südgallien mit Duldung der Römer (Tolosanisches Reich) |
Um 475 | Codex Euricianus |
506 | Lex Romana Visigothorum (Breviarium Alarici[anum] |
507 | Die Westgoten werden von den Franken nach Spanien abgedrängt (Toledanisches Reich) |
654 | |
711 | Die Araber erobern das Westgotenreich |
443-534 | Reich der Burgunder |
Um 500 | Lex Burgundionum |
Um 500 | Lex Romana Burgundionum |
534 | Eroberung durch die Franken |
493-553 | Reich der Ostgoten |
493 | Theoderich erobert Italien von Odoakar |
Um 500 | Edictum Theoderici (str., a.A.: westgotische Gesetzessammlung) |
526 | Tod Theoderichs |
553-568 | Herrschaft Ostroms über Italien |
568-774 | Reich der Langobarden |
568 | Nach dem Sieg über die Gepiden im heutigen Ungarn erobern die Langobarden Italien von den Oströmern (außer Ravenna, Kalabrien und Sizilien) |
643 | Edictum Rothari |
751 | Das oströmische Ravenna wird erobert |
773-774 | Die Franken erobern das Langobardenreich |
Ab 4. Jh. | Reich der Franken |
486/487 | Sieg Chlodwigs I. über Syagrius |
496, 506 | Siege Clodwigs I. über die Alemannen, Taufe Clodwigs |
507 | Sieg Chlodwigs I. über die Westgoten |
Vor 511 | |
511 | Tod Chlodwigs |
Vor 638 | |
719- | Karl Martell |
732 | Schlacht bei Tours und Poitiers |
768-814 | Karl der Große |
773-774 | Eroberung des Langobardenreiches |
800 | Kaiserkrönung Karls des Großen |
802/803 | u.a. Lex Frisionum, Lex Saxonum, Lex Thuringorum |
Die Inhalte der einzelnen Volksrechte unterscheiden sich erheblich. Es finden sich, z.B. in den westgotischen Gesetzen viele Regelungen über Handel und den allgemeinen Rechtsverkehr, welche auf spätrömische Vorbilder und Sammlungen von Kaisergesetzen zurückgehen. Besonders eigenständig ist jedoch die Lex Salica, welche zahlreiche Geldbußen für Unrechtstaten festsetzt sowie Gericht und Verfahren regelt, aber auch z.B. etwas rätselhafte Regelungen für die „Spurfolge“ bei Viehdiebstählen enthält. Etwas unklar ist der Zweck dieser Gesetzgebungen in lateinscher Sprache, wobei anzunehmen ist, dass die germanischen Oberschichten der jeweiligen Reiche nicht lesen und schreiben konnten. Einige der Gesetze richten sich nur an die romanische Bevölkerung (Lex Romana Visigothorum, Lex Romana Burgundionum), andere nur an die Angehörigen des germanischen Erobererstammes (z.B. Lex Salica), wieder andere an alle Teile der Bevölkerung (z.B. Lex Visigothorum).
Deutlich erkennbar ist die Intention, eine gewaltsame Rechtsdurchsetzung und Konfliktaustragung zu vermeiden oder jedenfalls zu dämpfen und die Konfliktaustragung in gerichtliche und rechtsförmliche Verfahren zu übertragen. Zu vermuten ist, dass diese Rechtsaufzeichnungen auch den Zweck hatten, die Herrschaft der Könige und der Oberschichten des jeweiligen Reichs zu demonstrieren und zu stabilisieren; außerdem könnten die Texte der Integration insbesondere der germanischen Oberschichten gedient haben, damit diese sich als Angehörige eines Volkes wahrnahmen und entsprechend handelten. Die teilweise große Zahl der überlieferten Handschriften (von der Lex Salica z.B. 90) und die Annahme, dass der größte Teil aller jemals existierenden Handschriften verloren gegangen ist, deutet darauf hin, dass die Texte eine große Verbreitung und praktische Bedeutung gehabt haben müssen.
Karl der Große ließ die im Frankenreich geltenden Volksrechte um 800 neu zusammenstellen und abschreiben. Er selbst erließ kein neues Volksrecht, sondern etliche sog. Kapitularien. Die Kapitularien enthielten Anordnungen zu Verwaltung und Rechtsprechung sowie zu militärischen, kirchlichen und kulturellen Angelegenheiten. Ihre Einteilung in verschiedene Kapitel (lateinisch capitula) gab ihnen den Namen.
Zusammenfassung der 4. Vorlesung:
Juristen als Päpste und lokaler Adel als Rechtsaufzeichner - Die Entstehung von Kirchenrecht und Sachsenspiegel
Diese Vorlesung führt in zwei Gruppen von - neben dem Corpus Iuris Civilis - ebenfalls sehr bedeutende Rechtsquellen des Mittelalters ein, welche in der Praxis von den Juristen angewendet werden mussten und – jedenfalls das Kirchenrecht - auch im Studium unterrichtet wurden.
(1) Kirchenrecht (Corpus Iuris Canonici)
Das Kirchenrecht, auch kanonisches Recht genannt, bildete neben dem Corpus Iuris Civilis den zweiten Hauptgegenstand des Jurastudiums im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Überhaupt wurde das Studium mit „Jura“ bezeichnet. „Iura“ ist der Plural von „ius“ (= das Recht), bedeutet also „die Rechte“. Dieser Plural meint die zwei Hauptquellen des mittelalterlichen Rechts, also das weltliche Recht des Corpus Iuris Civilis und das kirchliche Recht, dessen Hauptwerk auch mit „Corpus Iuris Canonici“ (= Gesamtbestand des kirchlichen Rechts) bezeichnet wurde.
Das Kirchenrecht, dessen Sammlung später in Anlehnung an den Begriff Corpus Iuris Civilis auch Corpus Iuris Canonici genannt wurde, setzte sich aus folgenden Teilen zusammen:
o Decretum Gratiani (Bologna um 1140): Sammlung kirchlicher Rechtstexte
o Decretales Gregorii IX. oder Liber Extra, 1234: Sammlung von Dekretalen (=päpstliche Antwortschreiben)
o Liber Sextus Bonifacii, 1298 (Abkürzung: VI°): neuere Dekretalen und Konzilsbeschlüsse
o Clementinae, 1314 (Abkürzung: Clem.)
o Extravagantes Johannis XXII. (Abkürzung: Extrav. Joh.XXII.)
o Extravagantes Communes (14.-15. Jh. (Abkürzung: Extrav.comm.): private Sammlungen von Dekretalen
Das Decretum Gratiani war eine Privatarbeit das Mönchs Gratian (+um 1140), der in Bologna um 1140 kirchliche Rechtstexte sammelte und unterrichtete. Solche kirchlichen Rechtstexte waren u.a. Konzilsbeschlüsse, Texte der Kirchenväter und größtenteils Antwortschreiben des Papstes auf Rechtsanfragen (sog. Dekretalen). Diese Sammlung enthielt also keine abstrakt generellen Rechtsnormen wie heutige Gesetze, sondern Auszüge aus unterschiedlichen Texten mit rechtlichem Inhalt, aus denen die gültigen Rechtsregeln erst herausgearbeitet werden mussten. Inhaltlich ging es um das Recht der Kleriker, kirchliche Ämter, Sakramente, Eherecht und Prozessrecht. Dass dieser Gegenstand für die Praxis wichtig war, zeigt eine Schrift des Bologneser Rechtslehrers Johannes Teutonicus (+um 1245), der eine Glosse zum Decretum Gratiani (1216) verfasste. Er wurde übrigens später vermutlich Domherr in Halberstadt und könnte Eike von Repgow unterrichtet haben.
Papst Gregor IX (1227-1241) veranlasste 1234 eine weitere Sammlung, die Decretales Gregorii IX. oder Liber Extra (Abkürzung: X) genannt wurde. "Liber Extra" (wörtlich: Buch außerhalb) meint Dekretalen (=päpstliche Antwortschreiben auf Rechtsanfragen, meist von Bischöfen) außerhalb des Decretum Gartiani. Der Liber Extra enthält überwiegend eine Sammlung von Dekretalen, die in 5 Bücher gegliedert ist. Der Inhalt wurde mit dem Merkvers iudex, iudicium, clerus, sponsalia, crimen umschrieben (iudex => Richter, insbesondere der Papst, iudicium => Prozessrecht, clerus => Kleriker, sponsalia => kirchliches Vermögen, crimen => Verbrechen, also Straf- und Disziplinarrecht). Papst Gregor IX. übersandte den Liber Extra 1234 an die Universitäten Bologna und Paris und wies sie an, im Unterricht nur noch den Liber Extra und das Decretum Gratiani zu verwenden, also insbesondere keine eigenen Dekretalensammlungen mehr zu verwenden. Damit wurde auch klargestellt, dass das kirchliche Recht allein auf diesen Rechtsquellen beruhen sollte.
Die weiteren Teile des Corpus Iuris Canonicum gehen überwiegend zurück auf Sammlungen von Dekretalen durch spätere Päpste, insbesondere
- Bonifaz VIII (1294-1303): Liber Sextus Bonifacii, 1298 (Abkürzung: VI°): neuere Dekretalen und Konzilsbeschlüsse
- Clemens V. (1305-1314): Clementinae, 1314 (Abkürzung: Clem.)
- Johannes XXII. (1316-1334): Extravagantes Johannis XXII. (Abkürzung: Extrav. Joh.XXII.)
Im 14.-15. Jh. traten überdies private Sammlungen von Dekretalen hinzu, die als Extravagantes Communes (Abkürzung: Extrav.comm.) bezeichnet wurden.
Den Abschluss fanden diese Sammlungen durch Papst Gregor XIII. (1572-1585), der sie in einer Editio Romana unter dem Titel “Corpus Iuris Canonici” zusammenstellen und drucken ließ. In dieser Gestalt galt das Kirchrecht, bis 1917 ein moderner Codex Iuris Canonici entstand, der durch den bis heute für die katholische Kirche maßgeblichen Codex Iuris Canonici von 1983 abgelöst wurde.
Das Kirchenrecht war deshalb Teil des allgemeinen Studiums, weil seine Inhalte bis in das 18 Jahrhundert hinein für jede juristische Tätigkeit große praktische Bedeutung hatten. Im Kirchenrecht fanden sich insbesondere die Materien Gerichtsverfassung, Prozessrecht, kirchliche Ämter, Eherecht und Strafrecht (Merkvers vom damaligen Repetitor: iudex, iudicium, clerus, connubia, crimen).
(2) Lokale mittelalterliche Rechtsaufzeichnungen
Eine andere wichtige Rechtsquelle, die in vielen Ländern Europas entstand, waren lokale Rechtsaufzeichnungen. Es handelte sich ganz überwiegend um private Arbeiten lokaler Adeliger. Das in Deutschland wichtigste Werk war der Sachsenspiegel, der um 1230 von Eike von Repgow verfasst wurde. Andere Beispiele für solche lokalen Rechtsaufzeichnungen sind etwa:
- Schwabenspiegel (um 1275)
- Coutumes (Frankreich ab 13 Jh.)
- Fueros (Spanien ab 13 Jh.)
- Siete Partidas (Spanien, 1265)
- Foros (Portugal ab 13 Jh.)
- De Legibus et Consuetudinibus Angliae (England, 12./13. Jh.)
Die lokalen Rechtsaufzeichnungen sind Ausdruck einer Tendenz zur Verschriftlichung von Rechtsregeln, die erkennbar durch das Vorbild des römischen und kanonischen Rechts angestoßen wurden. Sie sind Teil einer allgemeinen Rationalisierung des Rechtsdenkens und zugleich Anzeichen für einen Bedarf zur Verrechtlichung immer weiterer Lebensbereiche durch Fixierung des bisher überwiegend mündlich in Versammlungen gefundenen und überlieferten Rechts.
Etwa zur gleichen Zeit entstanden insbesondere in Deutschland zahlreiche Aufzeichnungen von Stadtrechten. In der Stadt galten besondere Freiheiten der Bürger („Stadtluft macht frei“), welche den Rechtsraum Stadt deutlich von den Rechtsverhältnissen auf dem Land unterschied. Diese Idee der „Stadt im Rechtssinne“ zeigt sich besonders früh z.B. in Freiburg im Breisgau (1120). Viele der Stadtrechte gingen auf Privilegien lokaler weltlicher und geistlicher Fürsten, später auch auf Privilegien von Königen und Kaisern (z.B. Augsburg 1156, Bremen 1186, Lübeck 1188) zurück. Neben die Privilegien traten eigene Rechtsaufzeichnungen der Bürger (z.B. Mühlhäuser „Reichsrechtsbuch“ um 1224). In einigen Stadtrechten zeigen sich Einflüsse des Sachsenspiegels. Später wurden auch Statutenbücher eingeführt, in denen Ratsbeschlüsse aufgezeichnet wurden. Im Übergang zur Neuzeit wurde in einigen größeren Städten (z.B. Nürnberg 1479) das Stadtrecht überarbeitet, wobei auch Einflüsse des römischen Rechts wirkten (sog. Stadtrechtsreformationen). Viele Städte bildeten sogenannte Stadtrechtsfamilien, weil bei Neugründungen das Recht einer älteren angesehenen Stadt übernommen worden war. Wichtige Stadtrechtsfamilien waren die von Lübeck (Lübisches Recht) und die von Magdeburg (Magdeburger Recht).
Zusammenfassung der 5. Vorlesung:
Rechtsgeschichte der Bücher: Von der Glosse zum Usus Modernus - Wichtige rechtshistorische Epochenbegriffe in ihrer zeitlichen Abfolge
Seit der Entstehung der Rechtswissenschaft und der Gründung von Universitäten im 12. und 13. Jahrhundert kann man die Rechtsgeschichte auch als Geschichte der Rechtswissenschaft beschreiben. Die Rechtswissenschaft hat sich vor allem in Büchern und sonstigen Schriften niedergeschlagen, mit denen die Rechtswissenschaftler ihre Erkenntnisse und Auffassungen verbreiteten. Wichtige Epochen der Rechtswissenschaft sind durch die Art der Schriften gekennzeichnet, welche die Rechtswissenschaftler verfassten. Diese Vorlesung wiederholt und führt ein in folgende Epochen der Geschichte der Rechtswissenschaft:
- Glossatoren (12. und der 1. Hälfte des 13. Jh)
- Kommentatoren (Ende 13. Jh. - Ende 15 Jh.)
- Juristischer Humanismus (15. Jh.-16. Jh.)
- „Reformationen“ des Stadt-, Land- und Reichsrechts (Ende 15. Jh. - 16. Jh.)
- Naturrecht (16.-18- Jh.)
- Usus modernus pandectarum (16. Jh. - 18 Jh.)
Glossatoren (12. und der 1. Hälfte des 13. Jh): = Juristen, die in Italien, vornehmlich in Bologna, die Texte des Corpus Iuris Civilis kommentierten. Sie versahen diese Texte mit Glossen (glossae), die in der Regel an den Rand (Marginalglosse) oder zwischen die Zeilen (Interlinearglosse) des Gesetzestextes geschrieben wurden. Daneben beschrieben sie einzelne rechtliche Probleme (summae) und lösten Widersprüche zwischen verschiedenen Textstellen auf (distinctiones). Bedeutende Glossatoren waren Irnerius (+ ca. 1140), Azo (ca.1150–1230) und Accursius (+1263), der um 1250 die bisherigen Glossen zur Glossa ordinaria zusammenfasste. Auch unter den Kanonisten (= Lehrer des Kirchenrechts), gab es Glossatoren.
Kommentatoren (Ende 13. Jh. - Ende 15 Jh.): = Juristen nach Accursius, die keine Glossen mehr schrieben, sondern ausführlichere Erläuterungen zu einzelnen Gesetzesstellen des Corpus iuris civilis. Diese Erläuterungen, die dem Text des Corpus iuris weniger eng folgten als die früheren Glossen, nannte man Kommentare (deshalb Kommentatoren oder – früher – auch Postglossatoren). Die Kommentatoren erteilten auch Rechtsgutachten (consilia), die gesammelt und veröffentlicht wurden (deshalb auch: Konsiliatoren). Bekannteste Vertreter: Bartolus de Saxoferrato (1313-1357), Baldus de Ubaldis (1327-1400).
Humanismus (Ende 14. Jh.-16. Jh.): Geistesströmung der Renaissance; durch Nachahmung klassischer Vorbilder sollte ein ideales Menschentum verwirklicht werden. Rückbesinnung auf die authentischen antiken Quellen (ad fontes). Wichtige Vertreter: Francesco Petrarca (1304–1374), Erasmus von Rotterdam (ca. 1467-1536).
Juristischer Humanismus (15. Jh.-16. Jh.) = Kritik an der Arbeitsweise und den Ergebnissen der Glossatoren und Kommentatoren (im römischen Recht) sowie der Kanonisten (im Kirchenrecht). Da der juristische Humanismus in Frankreich die meisten Anhänger hatte, nannte man die Bewegung auch „mos gallicus“ (als Gegenbegriff zu „mos italicus“, wo die meisten Kommentatoren wirkten). Die humanistische Forderung nach einer Rückkehr zu den Quellen wurde auf das Corpus iuris civilis angewendet, das der Textkritik unterworfen wurde An die Stelle der Lehrmeinungen von Kommentatoren sollte das treten, was sich bei vernünftiger Betrachtung philologisch gereinigter Quellentexte unmittelbar als deren Sinn ergab. Wichtige Vertreter: Jacobus Cuiacius/Jaques Cujas (1552-1590), Hugo Donellus (1527-1591), Dionysius Gothofredus (1549-1622), Jacobus Gothofredus (1587-1652)
„Reformationen“ des Stadt-, Land- und Reichsrechts (Ende 15. Jh. - 16. Jh.) = Neubearbeitung oder Aufzeichnung von lokalen Rechten bzw. Stadtrechten, häufig in Anlehnung an und unter Verwendung von Elementen aus dem römisch-kanonischen Recht. Wichtige Stadtrechtsreformationen waren z.B. Nürnberg (1479), Frankfurt (1509), Freiburg (1520). Wichtige Beispiele für Reformgesetze des Reiches waren die Reichskammergerichtsordnung (1495) und die Constitutio Criminalis Carolina (1532).
Naturrecht (16.-18- Jh.): Zu dieser Epoche gibt es eine eigene Vorlesung
Usus modernus pandectarum (16. Jh. - 18 Jh.) = Sammelbegriff für die Wissenschaft und Praxis des geltenden römisch-kanonischen Rechts. Kennzeichnend war ein freierer, pragmatischerer und fallbezogenerer Umgang mit den römischen Quellen als in den vorausgehenden Epochen. Herangezogen wurde nicht nur das römische- und das kanonische Recht, sondern auch Partikularrecht (z.B. Sachsenspiegel) sowie Rechtsprechung der Gerichte. Wichtige Vertreter: Georg Adam Struve (1619-1692): Jurisprudentia Romano-Germanica forensis (1670); Samuel Stryk (1640-1710): Usus Modernus Pandectarum (1690).
Die mit den Reformen um 1500 einhergehende Neuregelung des Strafrechts vor allem in der Constitutio Criminalis Carolina brachte die Entstehung des öffentlichen Strafrechts zu einem vorläufigen Abschluss. Die Carolina unterschied zwischen Folter (als Maßnahme zur Ermittlung des Sachverhalts) und Strafe und regelte relativ klar umschriebene Straftatbestände, war also insoweit modern. Jedoch wurde die grundsätzliche Zulässigkeit der Folter anerkannt und ihre Anwendung lediglich an einige einschränkende Voraussetzungen geknüpft. Auch die Strafen (u.a. Hinrichtung durch Rädern, Verbrennen, Hängen Enthaupten sowie Leibestrafen) waren unmenschlich. Ihrer Zeit entsprechend regelte Carolina auch das Delikt der Zauberei (Hexerei), versuchte aber die Zulässigkeit der Folter und die Anwendung der Regelstrafe Verbrennen etwas einzuschränken.
Zusammenfassung der 6. Vorlesung: Ewiger Landfriede und Reichskammergericht 1495
Ein wichtiges Ereignis für das Heilige Römische Reich und weit darüber hinaus war der Wormser Reichstags 1495, auf dem u.a. zwei zentrale Texte beschlossen wurden, welche die Rechtsgeschichte seitdem prägen: Der Ewiger Landfriede und die Reichskammergerichtsordnung.
Der Ewige Landfriede (1495) war ein dauerhaftes zeitlich und örtlich unbeschränktes Fehdeverbot. Damit kam die Gottes- und Landfriedensbewegung, die u.a. seit dem Mainzer Landfrieden von 1235 zeitlich und räumlich beschränkte Frieden geschaffen hatte, zum Abschluss. Mit dem Ewigen Landfriede wird das staatliche Gewaltmonopol endgültig durchgesetzt. In anderen europäischen Ländern gab es ähnliche Entwicklungen, in denen ebenfalls das Gewaltmonopol der öffentlichen Hand durchgesetzt wurde. Auch berechtigte Ansprüche dürfen seitdem nicht mehr durch Fehde, sondern nur noch auf dem Rechtsweg geltend gemacht werden.
Mit der Reichskammergerichtsordnung (1495) wurde das Reichskammergericht geschaffen. Dieses Gericht erlaubte ein rechtsförmiges Streitverfahren, das an die Stelle von Fehden, Gewalt und Krieg treten sollte. Sein Sitz war anfänglich Frankfurt am Main mit Zwischenstationen in Worms, Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Speyer und Esslingen am Neckar, ab 1527 saß es dauerhaft in Speyer und von 1689 bis 1806 Wetzlar (wo Goethe Praktikant war und den Werther schrieb).
Zum Personal gehörten:
- Ein Kammerrichter: Funktion des Gerichtspräsidenten, musste kein gelehrter Jurist sein, sondern ein reichsunmittelbarer Adliger, der vom Kaiser für dieses Amt bestimmt wurde
- Urteiler (auch Beisitzer, Assessoren): Ursprünglich 16, später mehr. Die Hälfte der Urteiler musste aus ausgebildeten Juristen bestehen; die andere Hälfte adelig sein (später mussten auch diese Beisitzer Rechtskenntnisse haben)
Aus dem Diensteid des Kammerrichters und der Urteiler ergab sich, welches Recht anzuwenden war: „des Reichs gemeine Rechte“ (weltliches und kirchliches gelehrtes Recht = ius commune), auch lokales Recht, das aber vorgetragen werden musste. Man nimmt an, dass das gemeinen Recht nur subsidiär galt, also das lokale Recht Vorrang hatte, soweit es vorgetragen (und dessen Geltung bewiesen wurde).
Zuständig war das Reichskammergericht u.a. für Appellationen (=Berufungen). Einige Reichsterritorien hatten aber ein „privilegium de non appellando“ mit der Folge, dass auch deren Gebiet keine Berufungen an das Reichkammergericht möglich waren, allerdings unter der Bedingung, dass ein ähnliches Landesgericht bestand. Weitere Zuständigkeiten waren u.a. Verfahren gegen Landfriedensbrecher; Mandatsprozesse (auf vorläufigen Rechtsschutz im Rahmen einer einstweiligen Anordnung), Untertanenprozesse (u.a bei Verweigerung der Rechtsprechung durch die territorialen Untergerichte).
Zusammenfassung der 7. Vorlesung: Naturrecht und Aufklärung
Begriff des Naturrechts
Naturrecht ist eine Vorstellung über Recht, deren Grundannahme es ist, dass sich aus der Natur des Menschen die Regeln des menschlichen Zusammenlebens ergeben. Rechtsquelle ist also die Natur des Menschen, insbesondere dessen Vernunft. Die Erkenntnisquelle des Naturrechts ist ebenfalls die Vernunft, d.h. Rechtssätze gelten, weil sie vernünftig und notwendig sind. Naturecht in diesem Sinne ist überpositives Recht, d.h. es bedarf im Gegensatz zum positiven Recht (Gesetzesrecht, Gewohnheitsrecht) nicht der schriftlichen Niederlegung oder staatlichen Anerkennung. Es gilt zu allen Zeiten und überall, wo Menschen leben; es ist universell in dem Sinne, dass es überzeitlich (=immer) und überörtlich (=überall) gilt.
Epoche des Naturrechts
Die Epoche des Naturrechts war eine europäische geistige Strömung im 17. und 18. Jahrhundert, die eine neue Art der Herleitung des Rechts und der Begründung seiner Geltung schuf. Sie fand ihren Ausdruck in sehr vielen neuartigen Büchern, die von allen Rechtsgebieten handelten, u.a. Völkerrecht, Menschenrechte, Strafrecht und Zivilrecht. Einer der ersten Vertreter war Francisco de Vitoria, der u.a. begründete, warum auch die Ureinwohner des neu entdeckten Amerika unveräußerliche Rechte hatten. Besonders hervor trat Hugo Grotius, der als ethischen Ausgangspunkt seines Naturrechts die menschliche Bereitschaft zur vernünftigen und friedlichen Koexistenz voraussetzte (socialitas). Auf dieser Grundlage erarbeitete er Regeln für alle Lebensbereiche einschließlich des Zivilrechts. Johannes Althusius, der lange Zeit in Emden lebte und wirkte, befasste sich auf naturrechtlicher Basis mit dem Aufbau des Staates. Die Autoren des klassischen Naturrechts wie z.B. Thomas Hobbes, Samuel von Pufendorf oder Christian Thomasius auf, die ebenfalls umfangreiche, systematisch aufgebaute Naturechtswerke verfassten. Die Naturrechtslehre Pufendorfs, wie sich aus seinem Werk De officio hominis et civis besonders deutlich ergibt, unterschied sich im Ausgangspunkt von Grotius. Pufendorf ging von der menschlichen Schwäche und Bedürftigkeit (imbecillitas) aus. Das Erfordernis der Gesellschaft (socialitas) ergibt sich aus dem Bedürfnis nach gegenseitigen Hilfeleistungen. Pufendorf stellt deshalb in seiner Begründung für das Naturrecht den Begriff der Pflicht (officium) in den Mittelpunkt, der sich aus der Bestimmung des Menschen zu dienen ergeben soll. Erst aus diesen so begründeten Pflichten ergeben sich auch Rechte des Menschen.
Der übergreifende Zweck des Naturrechts ist es, dass Recht im Ganzen neu zu entwerfen und zu begründen, insbesondere losgelöst von der Theologie, aber auch von den überkommenen Lehren des römischen und kanonischen Rechts. Hintergrund für diese neue Rechtslehre war vor allem die Glaubensspaltung, welche eine neue Herleitung des Rechts notwendig machte, die ohne Rückgriff auf Religion tragfähig sein musste.
Die Naturrechtsepoche ist Vorläuferin und zugleich Teil der Aufklärung. Damit gemeint ist eine geistige Bewegung, die durch rationales Denken und Berufung auf die Vernunft sich von althergebrachten und überholten Vorstellungen und Ideologien gegen den Widerstand von Tradition und Gewohnheitsrecht befreien will. Immanuel Kant begründete dabei, warum mit den Mitteln der Vernunft nicht aus der empirischen Rechtspraxis (also dem positiven Recht) auf das Recht a priori (also das Vernunft- oder Naturrecht) geschlossen werden kann (sog. materialistischer Fehlschluss). Diese philosophische Erkenntnis stellte eine der Grundlagen des Naturrechts in Frage und beendete die Epoche des Naturrechts.
Zusammenfassung der 8. Vorlesung: Naturrechtskodifikationen
Der Begriff „Naturrechtskodifikationen“ meint die drei um 1800 erlassenen großen Kodifikationen:
- Code civil (1804)
- Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (1811)
Der Begriff „Kodifikation“ steht für eine schriftliche Verkörperung einer Rechtsordnung in einem systematischen, häufig auch für die Rechtsordnung stilbildenden Gesetzbuch.
Kodifikationen dienen dem Ersatz alten, unzeitgemäßen Rechts. Sie haben häufig das Ziel, die Rechtseinheit eines Landes zu verwirklichen. Sie sind überdies in der Regel ein politisches Instrument für weitergehende Ziele eines Staates (z.B. Integration neu gewonnener Gebiete, Absicherung von Reformen, Schaffung eines nationalen Identifikationssymbols)
Als Vorläufer der Naturrechtskodifikationen gilt der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis (1756), dessen Verfasser vor allem Wiguläus Xaverius Aloysius Freiherr von Kreittmayr war. Der Codex ist nach dem Institutionensystem aufgebaut. Er enthält naturrechtliche Grundsätze, stellt aber vor allem das Recht lehrbuchartig dar.
Das Preußische Allgemeine Landrecht (1794) wurde durch eine Kabinettsordre Friederichs des Großen angestoßen. Unter seinen Bearbeitern ragt Carl Gottlieb Svarez hervor. Es handelt sich um eine Gesamtkodifikation des preußischen aufgeklärten Absolutismus mit zahlreichen modernen und erzieherischen Ansätzen, z.B. im Familienrecht, wo beiden Eltern – unterschiedliche – Rollen zugewiesen werden und eine staatliche Aufsicht über das Kindeswohl erkennbar wird. Kennzeichnend ist eine allgemeinverständliche Sprache, jedoch mit sehr weitschweifigen detailfreudigen Regelungen. Das Gesetzbuch besteht aus zwei Hauptteilen, Teil I: Recht des Individuums (am Anfang gegliedert nach dem Institutionensystem), Teil II: Recht der Verbände.
Der Code civil (1804) löste die vorrevolutionäre Zweiteilung zwischen Nordfrankreich (pays de droit coutumier) und Südfrankreich (pays du droit écrit) sowie die durch zahlreiche königliche Ordonnances eingetretene Rechtsfortbildung ab. Das Gesetzbuch wurde im Conseil d’État beraten, zu großen Teilen unter dem Vorsitz Napoleons (deshalb zeitweise auch „Code Napoléon“). Es ist nach dem Institutionensystem aufgebaut. Inhaltlich kodifiziert es die Ergebnisse der Revolution im Privatrecht, also u.a. Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit des Eigentums und Vertragsfreiheit.
Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (1811) ist entstanden aus Vorgängerwerken, u.a. dem Entwurf eines „Codex Theresianus“, aus dem ein „Josephinisches Gesetzbuch“ hervorgegangen ist, das wiederum die Grundlage für das Galizische Gesetzbuch (1797) bildete, welches in den durch Österreich nach den polnischen Teilungen erworbenen Gebieten in Kraft gesetzt wurde. Verfasser waren Carl Anton Freiherr von Martini und Franz Anton Felix von Zeiller. Das ABGB ist wie folgt aufgebaut:
- 1. Teil: Von dem Personenrechte (hier auch das Familienrecht)
- 2. Teil: Von dem Sachenrechte (hier auch das Erbrecht sowie „persönliche“ Sachenrechte i.S.v. Schuldrecht)
- 3. Teil: Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte
Zusammenfassung der 9. Vorlesung: Historische Schule
Die Historische Rechtsschule (auch: geschichtliche Schule der Rechtswissenschaft) war eine vor allem von Savigny und Eichhorn getragene rechtswissenschaftliche Schule, die von der Überzeugung ausging, dass das Recht als Teil der Kultur eines Volkes, des „Volksgeists“, etwas historisch Gewachsenes sei. Diese Schule entstand im 19 Jahrhundert und war kulturgeschichtlich Teil der Romantik und des Klassizismus.
Die Historische Rechtsschule wandte sich gegen das Vernunftrechtsdenken der Aufklärung und des Naturrechts. Savigny setzte dies um, indem er sich 1814 mit der Programmschrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ erfolgreich gegen die Idee einer deutschen Zivilrechtskodifikation nach dem Vorbild der Naturrechtskodifikationen aussprach. Insbesondere Thibaut hatte dies gefordert (sog. Kodifikationsstreit).
Savigny und Eichhorn gründeten die Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft (heute: Savigny Zeitschrift).
Nach Meinung Savignys entsprach dem Volksgeist der Deutschen das in Deutschland heimisch gewordene römische Recht besser als das Naturrecht, das über dem positiven Recht stehe. Mit seiner Schrift „System des heutigen römischen Rechts“ entwickelte Savigny aus dem klassischen römischen Recht eine moderne Zivilrechtsdogmatik, deren Lehrbücher alsbald gesetzesgleiche Beachtung erzielten.
Im Laufe des 19. Jh. trennte sich die Schule in einen romanistischen (pandektistischen) und einen germanistischen Zweig. Die Romanisten vertraten die Auffassung, dass dem Volksgeist die Rezeption des römischen Rechts entspreche. Die Darstellung des Privatrechts erfolgte in Pandektenlehrbüchern. Bedeutende Pandektisten waren Puchta, Jhering und Windscheid. Die Germanisten wie Eichhorn, Jacob Grimm, Beseler oder Gierke sahen das mittelalterliche deutsche Recht, das vor der Rezeption entstanden war, als besonders wichtigen Ausdruck des deutschen Volksgeists an.
Zusammenfassung der 10. Vorlesung: Die Entstehung des BGB
Vorgeschichte
Als Ergebnis des Kodifikationsstreits 1814 kam es nicht zu einer Kodifikation in Deutschland (siehe 9. Vorlesung). Einer der Gründe war, dass vor der deutschen Einigung 1871 kein deutscher Staat bestand, der eine Kodifikation hätte erlassen können. Es gab lediglich den Deutschen Bund (1815-1866), der als Staatenbund der rund 40 Staaten auf (überwiegend) deutschem Gebiet von den Monarchen und den freien Städten Deutschlands gegründet worden war. Erste Ansätze zur Rechtseinheit entstanden durch eine koordinierte parallele Gesetzgebung der Staaten des Deutschen Bundes im Wechselrecht (ADWO 1849) und Handelsrecht (ADHGB 1861). Das 1871 gegründete Reich hatte in seiner Verfassung zunächst nur die Gesetzgebungskompetenz für das Obligationen- und Handelsrecht, nicht jedoch für das gesamte Zivilrecht. Erst eine Verfassungsänderung 1873 schuf die Gesetzgebungskompetenz des Reiches im Zivilrecht (nach den Antragstellern benannt als lex Miquel/ Lasker).
Erste Kommission und Erster Entwurf
Die Arbeiten begannen mit einer kleinen Vorkommission des Bundesrats 1874, die Plan und Methode der Gesetzgebungsarbeiten vorschlagen sollte (Mitglieder u.a. Levin Goldschmidt). Diese Vorkommission gab als Ziel der Kodifikation vor, ein einheitliches Recht für das Reich auf Basis des Gemeinen Rechts zu schaffen und dabei vor allem auf die „richtige Formgebung und Anordnung“ zu achten. Daraufhin wurde die Erste Kommission (1874-1888) aus 11 Vertretern der Bundestaaten gebildet, in der eine knappe Mehrheit der mittleren Bundestaaten (gegen Preußen) bestand. Mitglieder waren u.a. Gottlieb Planck und Bernhard Windscheid; den Vorsitz hatte Eduard Pape (Präsident des Reichsoberhandelsgerichts). Die Kommission legte 1888 den Ersten Entwurf zusammen mit Motiven vor. Ihrem Auftrag gemäß zielte dieser Entwurf auf Rechtseinheit, und nicht auf Reform des bestehenden Rechts ab.
Kritik am Ersten Entwurf
Der Erste Entwurf stieß auf heftige Kritik. Vorgeworfen wurde ihm, dass er zu sehr am Gemeinen Recht, also am römischen Recht, orientiert sei und die Privatautonomie zu stark in den Vordergrund stelle. Kritisiert wurden auch die abstrakte Begrifflichkeit sowie die zahlreichen Verweisungen.
Otto von Gierke forderte „einen Tropfen socialistischen Oeles“ und die Berücksichtigung deutschen Rechts in der Kodifikation. Das politische Klima im Umfeld der Kodifikation hatte sich seit 1874 grundlegend geändert. Ausdruck davon war u.a., dass Bismarck infolge wirtschaftlicher Krisen 1878/1879 mit staatlicher Sozialpolitik begonnen hatte (Sozialversicherungsgesetzgebung).
Zweite Kommission und Zustandekommen
Die 1890 eingesetzte Zweite Kommission war „politischer“ als die erste. In ihr waren u.a. Vertreter des Reichsjustizamts, der Bundesstaaten, der Parteien (Ausnahme: Sozialdemokraten), der Großagrarier und des Handels. Sie fügte einige Einzelbestimmungen zum Schutz des Schwächeren ein, u.a. Formvorschriften, Vorschriften über Rechtsmissbrauch (§§ 226, 826, 1353 Abs. 2, 1354 Abs. 2 BGB) oder – in Ansätzen – Arbeitsschutz sowie den Grundsatz „Kauf bricht nicht Miete“ (§ 571 BGB). Der überarbeitete Entwurf wurde 1896 im Bundesrat und im Reichstag beraten und verabschiedet. Streitfragen waren u.a. das Vereinsrecht und Eherecht. Die Verabschiedung im Reichstag gelang auf Grundlage eines Kompromisses zum Vereins- und Eherecht zwischen den Nationalliberalen, dem Zentrum und der Reichspartei am 1.7.1896 gegen die Stimmen der Sozialdemokraten. Als Zeitpunkt des Inkrafttretens wurde der 1.1.1900 festgelegt.
Zusammenfassung der 11. Vorlesung: Die Entwicklung des Common Law in England
Entstehung de Common Law Courts
In vielfacher Hinsicht unterschied sich die Verbreitung des römischen Rechts in England nur kaum von anderen Gebieten Europas. Beispielsweise entstanden schon früh im 12. und 13.Jahrhundert Universitäten (Oxford, Cambridge), die – wie auf dem Kontinent – Juristen ausbildeten, welche man Civilians nannte.
Die Entwicklung des Common Law ist eine Folge der normannischen Eroberung Englands 1066. Es entstand ein zentrales mächtiges Königtum. Am königlichen Hof (curia regis) bildeten sich im 12.-13. Jahrhundert langsam feste Spruchkörper heraus, in denen Angehörige des Hofes, also vor allem normannische Adelige, im Namen des Königs Recht sprachen. Diese Spruchkörper nannte man Common Law Courts (auch Westminster Courts). Die wichtigsten dieser Spruchkörper waren:
Erteilung königlicher „Writs“
Da es sich um eine königliche Gerichtsbarkeit handelte, wendeten sich die Rechtssuchenden an den König, damit er ihnen Recht verschaffe. Eine häufige Streitigkeit bestand darin, dass ein Landgut durch benachbarte Adelige unberechtigt in Besitz genommen worden war, während der Berechtigte, z.B. wegen Teilnahme an einem Krieg oder Kreuzzug abwesend war. Der König, erteilte in solchen Fällen durch seine Kanzlei (Chancery) einen „Writ“ (=Schreiben, Urkunde), durch den der Beklagte vor die königlichen Gerichte geladen wurde. Diese Writs wurden archiviert („Register of writs“) und bei späteren Gelegenheiten wieder ausgestellt, so dass im Laufe der Zeit Formulare für typische Rechtsstreitigkeiten entstanden (Beispiel: Writ: „Novel Dissesin“ = norman-french für „kürzlich erfolgte Enthebung“). Writs dienten also der Standardisierung der Prozessarten und damit der Herausbildung einer vorhersagbaren allgemeinen königlichen Rechtsprechung. Auf diese Weise bildete sich allmählich aus der richterlichen Entscheidungspraxis ein in ganz England geltendes und durchsetzbares gemeinsames Recht („common law“) heraus, das gegenüber den traditionellen mündlichen lokalen Gerichten (local law) u.a. den Vorteil einer schriftlichen Fixierung hatte (Register of writs, seit 13 Jh. auch Yearbooks mit Entscheidungen der Gerichte). Prägend für dieses Recht war auch die Bindung der Gerichte an ihre eigenen Entscheidungen.
Die an den Westminster Courts tätigen Judges und Prozessvertreter schlossen sich in vier Inns of Court zusammen (seit 14. Jh.), die heute noch bestehen:
- Inner Temple
- Middle Temple
- Gray’s Inn
- Lincoln’s Inn
Diese Inns of Court entschieden dadurch, wen sie als Mitglied aufnahmen, darüber, wer vor Gericht auftreten und wer Richter werden konnte. Durch praktische Ausbildung (pupillage) sicherten sie auch die Schulung der neu hinzutretenden Richter und Parteivertreter im Fallrechts der Gerichte.
Entstehung der Equity
Ab dem 14. Jahrhundert kam es zu einer Verkrustung des Common Law, u.a. dadurch, dass keine neuen Typen von Writs mehr entwickelt wurden. Zugleich entstand eine neue Zuständigkeit des Kanzlers (chancellor), der ab ca. 1350 im Auftrag des Königs über Petitionen gegen Gerichtsentscheidungen entschied. Im Laufe des 15. Jahrhunderts entwickelte sich daraus eine eigene Gerichtsbarkeit des Lord Chancellor (Chancery). Diese neue Gerichtsbarkeit (Court of Chancery) entwickelte eigene Rechtsregeln auf Grundlage der Billigkeit (equity), die insbesondere in Fällen, in denen kein Writ erteilt werden konnte, weil es für den vorliegenden Streitfall keinen passenden Writ im Register of writs gab. Die Chancery prozedierte und entschied in englischer Sprache (anstatt der sonst üblichen Verwendung von Französisch und Latein) in einem kostengünstigen Verfahren. Jedoch verfestigten sich im Laufe der Jahrhunderte auch die Grundsätze der equity-Rechtsprechung. Außerdem kam es zu Kompetenzstreitigkeiten mit den Common Law-Gerichten.
Reform im 19. Jahrhundert
Das Nebeneinander der Common Law Courts und der Chancery wurde durch die Judicature Acts (1873/75) reformiert, welche den Supreme Court of Judicature schufen. Der wichtigste Teil war der High Court, der die Common Law Courts und die Chancery in ein einheitliches Gerichtssystem überführte. Die Rechtsmassen des Common Law und der Equity als Rechtsquellen sind jedoch bis heute im englischen Recht erkennbar. Außerdem begann, nach Vorläufern im 18. Jahrhundert, die wissenschaftliche Bearbeitung und das Studium auch des Common Law an Universitäten.
Bedeutungen des Begriffs „Common Law“ im Aussagekontext
Der Begriff „Common Law“ kann je nach Kontext für verschiedene Bedeutungen stehen. Wichtige Beispiele sind:
- (Königliches) Common Law als Gegenbegriff zu Local Law (= Recht der lokalen Gerichte, z.B. der hundreds courts)
- Common Law als Gegenbegriff zu Civil Law (= ius commune i.S. des an den Universitäten gelehrten römischen und kanonischen Rechts)
- Common Law (Countries) als Gegenbegriff zu Civil Law Countries
- Common Law (rights and remedies) als Gegenbegriff zu (rights and remedies) in Equity
Zusammenfassung der 12. Vorlesung: Perversion des Rechts im Nationalsozialismus
Diese Vorlesung behandelt nur einen kleinen Bereich der Gesamtheit des NS-Unrechts, wobei der Schwerpunkt darauf liegt, wie die NS-Machthaber Formen der Rechts, also z.B. Gesetze und Urteile, nutzten, um ihre Verbrechen und Unrechtstaten zu schein-legitimieren. Teil des genuin Bösen war die Verhöhnung der Rechtsstaatsidee und deren Ersetzung durch entfesselte Gewalt bis hin zum staatlichen Morden, schrankenloser Willkür und zur Negation der Würde des Menschen und daraus abgeleiteter Menschenrechte.
Schritte zum Abbau des Rechtsstaats
Mit erschreckender Konsequenz und Geschwindigkeit unternahmen die NS-Machthaber von Beginn ihrer Herrschaft an zahlreiche Schritte, um die Rechtsordnung und den Rechtsstaat zu zerstören und stattdessen eine verbrecherische Diktatur zu errichten. Sie bedienten sich dabei der Mechanismen der Verfassung und der staatlichen Handlungsformen, um anstelle von Recht krasses Unrecht zu schaffen. Charakteristische Beispiele für solche Gesetze waren:
- Reichtagsbrandverordnung (1933) = „Verfassungsurkunde des Dritten Reiches“ (Fraenkel); Folge u.a. Einführung der „Schutzhaft“ = Einrichtung von Konzentrationslagern
- Ermächtigungsgesetz (1933)
- Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr als Folge des „Röhm-Putsches“ (1934);
Rassismus in Gesetzesform
Besonders deutlich wird der verbrecherische Charakter des NS-„Rechts“ bei Gesetzen, denen ein biologischer Rassismus zugrunde lag. Dies war die Vorstellung, dass es verschiedene Menschenrassen gibt und dass eine „höhere“ Rasse (die „nordisch-arische Herrenrasse“) den anderen Rassen überlegen sei und deshalb die Herrschaft beanspruchend darf. Diese Vorstellungen verbanden sich mit dem Antisemitismus dahin, dass es eine besonders niedrigstehende „jüdische Rasse“ gibt, welche schädlich für die höheren Rassen wirke und deshalb bekämpft werden müsse. Diese verbrecherischen Vorstellungen schlugen sich u.a. in folgenden Gesetzen nieder:
- Nürnberger Rassegesetze (1935)
- Sühneleistungsverordnung als Folge der Novemberpogrome (1938)
- Teilentwürfe des Volksgesetzbuchs (1942)
Gründe für die fehlende Abwehrfähigkeit des Rechtsstaats
Eine der großen Fragen ist, wie es möglich war, binnen weniger Wochen die rechtsstaatlichen Sicherungen der Rechtsordnung der Weimarer Republik so weitgehend zu überwinden und eine verbrecherische Diktatur zu errichten. Beigetragen hat dazu wohl der Missbrauch formeller Gesetze und Rechtsakte zur Begehung von Verbrechen. Ein Aspekt des „Versagens der Eliten“ bei der Errichtung der NS-Diktatur könnte sein, dass zur Gesetzestreue erzogene Juristen der Legitimationswirkung von Unrecht in Gesetzesform erlagen. Ohnehin war das Bewusstsein für Menschen- und Grundrechte nicht sehr weit entwickelt, wobei auch Fragen der materiellen Not in der Weltwirtschaftskrise im Vordergrund standen. Auch der Grundrechtsschutz war geringer ausgebaut. In der Weimarer Reichsverfassung gab es keine Verfassungsgerichtsbarkeit und keine als solche justiziablen Grundrechte. Plausibel ist auch die Deutung, dass die Natur der NS-Diktatur als „Doppelstaat“ (Fraenkel) zu dessen Schein-Legitimation beigetragen haben kann. Ein Doppelstaat entstand dadurch, dass äußerlich die demokratischen und rechtsstaatlichen Staatsorgane einschließlich aller Gerichte bestehen blieben, daneben aber Parallelstrukturen entstanden (NSDAP, SS, Sondergerichte, KZs), die einen rechtsfreien Raum für die Diktatur schufen und schwerste Verbrechen begangen.
Aufarbeitung des Unrechtsstaats
Die juristische und wissenschaftliche Aufarbeitung des Unrechtsstaats ist eine Jahrhundertaufgabe. Pionierfunktion hatten die Nürnberger Prozesse (1945-1949), in denen ein internationaler Strafgerichtshof über die Hauptkriegsverbrecher sowie einzelne Gruppen von Mitwirkenden (wie z.B. Industrielle, Juristen) zu Gericht saßen und Maßstäbe entwickelten, nach denen derartige Verbrechen beurteilt werden konnten. Für den Umgang mit gesetzlichem Unrecht schuf der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch die sogenannte Radbruchsche Formel (1946), anhand derer die deutschen Gerichte beurteilten, welche NS-Gesetze als Unrecht und deshalb als nicht bindend anzusehen sind. In das 1949 erlassene Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland wurden Elemente einer „wehrhaften Demokratie“ eingefügt (z.B. die Formel zur Bindung der Staatsgewalt an „Gesetz und Recht“, Art. 20 III GG). In der Folge der Nürnberger Prozesse wurde außerdem das Internationales Völkerstrafrecht weiterentwickelt, welches eine Strafbarkeit einzelner Täter unmittelbar aufgrund von Völkerrecht vorsieht.
Zusammenfassung der 13. Vorlesung: Entstehung der EU
Schuman-Plan und Montanunion – Grundstrukturen der EU
Der wohl wichtigste Ausgangspunkt für die Entstehung der EU ist der Schuman-Plan, den der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 vorlegte. Er erteilte Plänen einer Staatsgründung eine Absage („Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen…“). Stattdessen sollte durch „konkrete Tatsachen“ zunächst eine „Solidarität der Tat“ geschaffen werden. Er schlug („in einem begrenzten, doch entscheidenden Punkt“) eine Maßnahme für Deutschland und Frankreich vor, zu der jedoch alle anderen europäischen Länder beitreten können sollten. Der Kern des Vorschlags war, die „Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen“, die aus unabhängigen Persönlichkeiten bestand, die auf paritätischer Grundlage von den Regierungen ernannt werden. Die Entscheidungen der Hohen Behörde sollten in Frankreich, in Deutschland und den anderen Teilnehmerländern bindend sein. Damit waren wesentliche Strukturen der EU vorgezeichnet (Europäischen Kommission als supranationale Organisation, weil die Kommissare „unabhängig“, d.h. nicht an Weisungen ihrer Entsendestaaten gebunden, sein sollten).
Entwicklungsstufen der EU
Die wichtigsten Entwicklungsstufen der EU waren folgende:
- Montanunion EGKS 1951 (-2002)
- Römische Verträge (EWG, EURATOM), 1957 ff.
- Fusionsvertrag 1965 („Europäische Gemeinschaften“)
- Einheitliche Europäische Akte, 1986 (Binnenmarkt bis 1992, Mehrheitsentscheidungen im Rat erleichtert)
- Vertrag von Maastricht, 1992 (drei Säulen: Binnenmarkt, Justiz und Inneres, Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik)
- Vertrag von Amsterdam, 1997 (u.a. Vorbereitung weiterer Beitritte, Erweiterung der Mehrheitsentscheidungen)
- Vertrag von Nizza, 2001 (u.a. weitere Vorbereitung von Beitritten, Einberufung eines Verfassungskonvents)
- Vertrag von Lissabon 2007 (u.a. Erweiterung der Rechte des Parlaments)